Leichte Verspätung

Überraschende Post von einem Gericht aus dem hohen Norden:

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Raimer, den anliegenden Schriftsatz erhalten Sie zur Kenntnis. Es wurde hier leider versäumt diesen zeitnah zu übermitteln. Mit freundlichen Grüßen…

Ich bin sprachlos: der vom Gericht weitergeleitete Schriftsatz stammt vom 13.09.2012. Ja, genau – 12, nicht 13! Der Schriftsatz hat unglaubliche 15 Monate gebraucht, um an uns weitergeleitet zu werden. Die lapidare Bemerkung, der Schriftsatz sei leider nicht „zeitnah“ übermittelt worden, war also extrem höflich formuliert. Ein bedauerlicher Einzelfall?

Vor einer Weile musste ich bei einem Gericht im Rheinland Unterlagen zu einem einstweiligen Verfügungsverfahren anfordern. Als diese über Wochen hinweg nicht kamen, wurde mir auf telefonische Rückfrage vom Gericht erklärt, der zuständige Mitarbeiter habe etliche Unterlagen aus diversen Verfahren in einem unsortierten, etwa 1,50 m hohen Papierstapel gesammelt. Nachdem er sich dieses kreative Ablagesystem ausgedacht hatte, war der Verantwortliche natürlich erstmal langfristig erkrankt. Der vertretungsweise eingesprungene Geschäftsstellenmitarbeiter konnte daher schlicht und einfach nicht sagen, wo sich die von mir benötigten Unterlagen nun befanden.

Richter sind ja bekanntermaßen spitze darin anderen Leuten zu erklären, wie “verkehrsübliche Sorgfalt” aussieht, oder wann “Organisationsverschulden im eigenen Betrieb” vorliegt. Und mittlerweile macht sich sogar – gerade im Internetrecht – immer mehr die Störerhaftung breit, bei der Betreiber von Internet-Diensten wegen der “Verletzung von Prüfungs- und Sorgfaltspflichten” für den Unsinn haften sollen, den Dritte möglicherweise mit dem Internet-Dienst anstellen. Vielleicht sollten Richter ihr geballtes Wissen, wie man Betriebsabläufe gefälligst zu organisieren hat, ja mal verwenden, um ihren eigenen Saustall aufzuräumen.

Saustall ist natürlich ein hartes Wort. Und ich bin wahrscheinlich gerade dabei, mich in Rage zu reden. Aber die ungleichen Maßstäbe, mit denen hier gemessen wird, regen mich einfach auf. Wieso soll dem Normalbürger oder Unternehmen soviel mehr zuzumuten sein als staatlichen Organen? Und deshalb beende ich den Artikel mal mit einem Zitat von Molière:

Man sollte sich selbst sehr lange betrachten, ehe man davon träumen kann, andere Leute zu verdammen.”