Bei der Copyright and Technology Conference 2013 in London habe ich wieder einmal festgestellt, wie sehr mich der Satz “I know it when I see it” nervt. Potter Stewart, ein in den 80er Jahren verstorbener Richter am United States Supreme Court, sollte 1964 in der Sache „Jacobellis vs. Ohio“ eine Abgrenzung zwischen harter und nicht-harter Pornografie treffen. Da ihm keine eindeutigen Abgrenzungskriterien einfielen, behalf er sich mit dem Satz „I know it when I see it“. Nicht gerade eine Glanzleistung eines ansonsten wohl brillanten Juristen.
Es stört mich natürlich herzlich wenig, wenn ein amerikanischer Richter in den 60er-Jahren Probleme damit hatte, Unterschiede zwischen harter und weicher Pornografie zu definieren und dies auch noch auszuformulieren. Was mir aber gehörig auf den Wecker geht ist, dass dieser Satz einer der meist zitierten Sätze in der amerikanischen Rechtsgeschichte ist. Und mir geht das Messer in der Tasche auf, wenn Juristen den Satz mit stolz geschwollener Brust zitieren, weil sie aus dem Bauch heraus entscheiden möchten.
Genau dies konnte ich letzte Woche wieder einmal beobachten, und zwar auf der Copyright and Technology Conference. Ein englischer Anwaltskollege wurde darauf angesprochen, wie man denn seriöse und unseriöse Cloud-Storage Dienste voneinander unterscheiden könne. Apple iCloud, Drobox, RapidShare, Microsoft Skydrive, TrendMicro SafeSync, Share-Online – das Angebot ist weitaus größer als die Unterschiede zwischen den verschiedenen Anbietern. Die Frage, anhand welcher Kriterien man die legalen und die illegalen Angebote voneinander unterscheiden könne, war also durchaus berechtigt. Die Antwort des Kollegen wurde der Ernsthaftigkeit dieser Frage in keiner Weise gerecht: Ja, die verschiedenen Angebote seien teilweise recht ähnlich, aber bestimmte Anbieter seien ja nun ganz offensichtlich als unseriöse Angebote bekannt; letztlich könne man hier nur nach dem berühmten Grundsatz verfahren „I know it when I see it“.
Um es also einmal klipp und klar zu sagen: Der Satz „I know it when I see it“ ist nichts anderes als die Kapitulation des Juristen vor der vermeintlichen Komplexität des Sachverhalts. Es ist der Verzicht auf klare Regeln. Es ist die (dreiste) Forderung, doch gefälligst aus dem Bauch heraus intuitive Entscheidungen fällen zu dürfen, da der Richter doch nur Gutes wolle. Wir geben Richtern und Gerichten die Macht Entscheidungen über uns treffen zu dürfen, weil diese Macht nicht unbegrenzt ist, sondern durch Gesetze und Gerichtsentscheidungen einen festen Rahmen hat. Ohne festen Rahmen wird Recht jedoch zur Willkür, Innovationen werden zum Risiko für denjenigen, der Neues schaffen möchte. Was wird der Richter wohl glauben zu wissen, wenn er mit der Sache befasst ist?
Wenn Dinge sich anhand der existierenden Regeln nicht abgrenzen lassen, dann müssen sie gleich behandelt werden. Und es gibt – um beim Beispiel von Cloud-Storage Diensten zu bleiben – nun tatsächlich genug Spielregeln aus den Bereichen Datenschutzrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, an die seriöse Anbieter sich halten müssen. Solange diese Spielregeln eingehalten werden, darf es nicht sein, dass Juristen einen Anbieter als unseriös bewerten können, nur weil sie dies „wissen, nachdem sie es gesehen haben“.