Vor Gericht gibt es ein Urteil, aber keine Gerechtigkeit. Dieser Satz ging mir durch den Kopf, als ich heute ein erst vor wenigen Tagen veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Juli 2013 (I ZR 34/12) gelesen habe, das für einige Mandanten Anlass sein sollte, die eigenen Werbemaßnahmen kritisch zu prüfen. Was war passiert?
Gameforge, der in Karlsruhe ansässige Publisher von Browser-Spielen, hatte das Spiel „Runes of Magic“ wie folgt beworben:
„Pimp deinen Charakter
Ist Dein Charakter bereit für kommende Abenteuer und entsprechend gerüstet?
Es warten tausende von Gefahren in der weiten Welt von Taborea auf Dich und Deinen Charakter. Ohne die entsprechende Vorbereitung kann die nächste Ecke im Dungeon der letzte Schritt gewesen sein.
Diese Woche hast Du erneut die Chance Deinen Charakter aufzumotzen!
Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse „Etwas“!“
Diese Werbung rief den Bundesverband der Verbraucherzentralen auf den Plan, der bereit war, wieder einmal als Robin Hood für die Rechte der Verbraucher zu kämpfen und die Welt spürbar zu verbessern. Die Werbung von Gameforge, so die Verbraucherzentrale, sei unzulässig!
Der geneigte Leser wird sich nun fragen: „Nanu, warum das denn?“
Nun, wir wissen es auch nicht.
Genau so ging es Gameforge und deren Anwälten.
Das Landgericht Karlsruhe wies die Klage der Verbraucherzentralen daher auch ab.
Genau so ging es dem OLG Karlsruhe, das die Berufung der Verbraucherzentrale zurück wies.
Umso ärgerlicher, dass die Verbraucherzentrale schließlich am Bundesgerichtshof Richter gefunden hat, die ihre Rechtsansicht teilen. Also, kurz zur Rechtslage:
Es gibt im Wesentlichen zwei Vorschriften, nach denen gegenüber Kindern unter 14 Jahren bestimmte Werbepraktiken verboten sind. Dies ist zum einen Art. 3e Abs.1 (g) der Fernsehrichtlinie (Richtlinie 89/552/EWG nF) und zum anderen Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs.3 UWG. Nach diesen Vorschriften ist Werbung unzulässig, wenn sie eine unmittelbar an Kinder gerichtete Aufforderung enthält, selbst die beworbene Ware zu erwerben oder ihre Eltern zum Kauf zu veranlassen.
Wenn ein Hersteller seine Stofftiere also mit dem Slogan „Deine Mama liebt Dich nicht, wenn sie Dir das niedliche Stofftier hier nicht kauft“ bewerben würde, wäre dies unzulässig. Ebenso wäre es unzulässig, wenn ein Supermarkt an der Kasse ein riesiges buntes Plakat aufstellen würde „Sag Deiner Mama, sie soll ein Überraschungsei mitnehmen!“. Denn dies wäre eine direkt an Kinder gerichtete Aufforderung, die Ware zu erwerben oder ihre Eltern zum Kauf zu veranlassen.
Dass es für solche Werbemaßnahmen Einschränkungen gibt, ist grundsätzlich ja nachvollziehbar. Denn die Fähigkeit Werbung kritisch zu hinterfragen, muss von Kindern und Jugendlichen erst erlernt werden. Und damit keine allzu schweren familiären Dramen passieren, bis Kinder gelernt haben mit Werbung umzugehen, werden der an Kinder gerichteten Werbung halt gewisse Grenzen gesetzt. Es gibt ja schließlich tatsächlich Kinder, die sich an der Kasse bitter weinend auf den Boden werfen, solange man die direkt an der Kasse platzierte Kinderschokolade nicht einpackt. Ob der Gesetzgeber hier nun wirklich einschreiten musste, oder ob dies nicht eher eine Aufgabe der Eltern ist, muss hier nicht weiter erörtert werden, denn die Europäische Union hat’s nunmal entschieden. Die Vorschriften sind also in der Welt und die Werbebranche muss sich halt daran halten.
Eine völlig andere Frage ist jedoch, welche Werbungen unter das Verbot fallen und ob die Gameforge-Werbung unmittelbar darauf abzielte, Kinder direkt zum Kauf aufzufordern. Das Gesetz spricht schließlich von „unmittelbar an Kinder gerichteten Aufforderungen“. Und genau an diesem Punkt müssen die Ausführungen des Bundesgerichtshof schlicht als lebensfremd bezeichnet werden. Das Gericht führt aus, die Werbung von Gameforge richte sich „nach dem beworbenen Produkt und der gesamten Art und Weise der Ansprache“ in erster Linie an Kinder unter 14 Jahren. Und genau hier wird das Urteil absurd:
(1) Duzen sei, so der BGH, zwar mittlerweile in der Werbung recht üblich und auch in der Werbung gegenüber Erwachsenen zu finden. In der streitgegenständlichen Werbung würde der Leser jedoch ausschließlich in der „Du“-Form angesprochen, sodass die Zielgruppe ja wohl Kinder seien.
(2) Darüber hinaus sei die Werbung von kindertypischen Begrifflichkeiten geprägt.
Also, jetzt mal im Ernst. Wenn eine Werbung den Leser in der Du-Form anspricht, dann ist es ja nun logisch, dass dies stets ausschließlich in dieser Form geschieht. Ein Hin- und Herspringen von der Du- in die Sie-Form wäre ja nun auch sprachlich inkonsistent und würde merkwürdig klingen. Das erste Argument des BGH überzeugt also nicht.
Welche „kindertypischen“ Begrifflichkeiten die Werbung benutzt, wird vom BGH bezeichnender Weise nicht näher erläutert. Gemeint sein könnte die Aufforderung, der Adressat solle seinen Charakter „pimpen“. Ein Begriff, der spätestens durch die MTV-Sendung „Pimp my Ride“ im Sprachjargon einer ganzen Generation als (zugegebenermaßen recht saloppes) Synonym für „Verbessern“ Einzug gehalten hat.
Es steht daher zu vermuten, dass dem BGH schlicht und einfach das Produkt eines Browser-Spiels nicht geheuer war. „Vermutlich“, so werden sich die BGH-Richter gedacht haben, „spielen solche Spiele ohnehin nur kleine Kinder“. Der BGH erwähnt schließlich in seiner Begründung, dass auch das „beworbene Produkt“ berücksichtigt werden müsse. Dass MMORPGs in der Regel erst langfristig Spielspaß bringen, viel Geduld erfordern und sich daher eher an eine erwachsene Zielgruppe wenden, scheint der BGH nicht verstanden zu haben.
Ausgehend vom BGH-Urteil gehen wir davon aus, dass die Verbraucherzentralen durch das BGH-Urteil Rückenwind bekommen und in Zukunft offensiv Anbieter von Produkten angreifen werden, die sich an eine eher jüngere Zielgruppe wenden. Hierzu dürften natürlich andere Anbieter von Browser-Spielen gehören, aber auch Anbieter von Free2Play-Games oder Gameserver-Anbieter. Direkte Kaufaufforderungen, wie „Schnapp Dir …“, „Hol Dir…“ oder „Kauf Das!“ sollten bei solchen Werbemaßnahmen daher unbedingt vermieden werden. Ansonsten stehen vermutlich recht bald die Robin Hoods von der Verbraucherzentrale vor der Tür, um wieder einmal für die Rechte der Kinder zu kämpfen.